In dieser Serie stellen wir Carolin Hess vor.
Wir werden sie auf ihrem Weg zu den hohen Gipfel unserer Erde begleiten.
Fotos: Carolin Hess und Jonas Salzmann
Vol. 01
Warum das alles? (Höhersteigen und Überleben)
Es ist 2.30 Uhr, das genaue Datum oder den Wochentag erinnere ich grade nicht und auch nicht, wie lange ich eigentlich schon die Zeltdecke anstarre. Neben der aktuellen Höhe (7485m) verrät meine Uhr noch, dass die Temperatur gerade wohl in etwa bei -23 Grad liegt. Ein starker Wind donnert gegen die Zeltwand und bei jeder Böe rieseln mir kleine Eiskristalle ins Gesicht. Ich spüre einen starken Druck in meinem Kopf und dahinter die bohrende Frage: Warum das alles? Die Umgebung in der ich mich gerade befinde ist lebensfeindlich.
Es ist kalt, es ist eisig, und der Sauerstoffgehalt in der Luft so gering, sodass jede Bewegung ungeheuer anstrengend ist und nur noch in Zeitlupe funktioniert. Der Energiebedarf um den Körper warm zu halten und noch mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen ist so hoch, dass es über längere Zeit nicht mehr möglich ist, diesen mit ausreichend Flüssigkeit und Nahrung zu decken. Und trotzdem fühle ich eine starke Faszination, einen Sog, höherzusteigen, alles unter mir zu lassen, tief unter mir, noch einen Schritt weiter und noch einen. Ich fühle mich fokussiert aber auch demütig. Wie weit kann ich kommen in Richtung Gipfel, wie weit bis nichts mehr über mir liegt, wie weit in Richtung Himmel? Meine zweite große Faszination am Höhenbergsteigen liegt in dem Gefühl zu (üb)erleben. Das wiederum ist meistens ein Gefühl, dass mich im Abstieg überschwemmt. Je tiefer ich komme desto einfacher werden alle meine Bewegungen, ich ziehe die dicke Daunenjacke aus und lege die schweren Schuhe ab, fühle mich leicht und befreit. Ich atme ruhig. Bin unendlich hungrig und dankbar für ein warmes Essen. Ich stille meinen Durst. Ich bin dankbar für warme Fingerspitzen
und trockene Socken. Ich bin lebendig.